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Weltkrieg unter Männern
Ein Anschlag auf die westliche Hegemonie

von Claudia Bernhard, 04.10.2001




 
 
 
 

 



We guard the American borders
We guard the American dream
our right to fight for democracy
and keep our country free!
(aus: “Wag the dog” 1998, Regie: Barry Levinson)

„Männer bekommen leuchtende Augen, wenn sie gegen das Böse kämpfen können“, schreibt Mascha Madörin). (1) Das hat sie schon immer ergriffen, losziehen den Drachen töten, die Schlacht schlagen, die Ehre verteidigen. Aber was wird verteidigt und was ist eigentlich das Böse?

Das westliche „Weltpatriarchat“ bastelte an einer stabilen Hegemonie, die in den letzten Jahrzehnten zu wissen glaubte, wie die Krisenherde eingedämmt oder zumindest auf bestimmte Regionen dieser Erde beschränkt werden konnten. Gekoppelt war das an die zivilen Errungenschaften der westlichen Gesellschaften, ausgehend von Entwicklungspolitik, wurde Demokratie, Menschenrechte, und humanitäre Hilfe exportiert. Immer war der Westen überlegen, ob in der gewaltintensiven Aneignung, oder der freundlichen Förderung. Und eigentlich hat es ganz gut geklappt, Strukturanpassungsprogramme, Krisenverlagerung, Deregulierung und Schuldenpolitik haben ihren Sinn erfüllt, wenn auch mit kleinen Krisen und Eingriffen, aber es funktionierte. Zudem hat sich das Patriarchat geschickt modernisiert und die Gewalt ein Stück nach außen verlagert. Oder nennen wir es die demokratische Herrschaft, innerhalb derer die USA die tragende Rolle eingenommen hatten. Über die globalisierten Finanzmärkte, die ökonomische Machtpolitik wurden die Einflußsphären gesichert und andererseits waren über diesen Prozeß auch Schmiermittel entstanden. Es bildeten sich Strukturen, die eine Art Pseudoteilnahme an den wesentlichen Entscheidungen suggerierten, die eine Partizipation an internationalen Zusammenhängen vorspiegelten. Gerade die Debatten um Stichworte wie „Global Governance“ oder auch das viel beschworene „Empowerment“ von Frauen gehören in diesen Kontext. Die Lage schien im Griff.

Das System ist erschüttert

Dieses in sich komplexe System hat einen gehörigen Riss bekommen. Das US-amerikanische Gewaltmonopol wurde in Frage gestellt. Die Anschläge haben auf unmißverständliche Weise klar gemacht: zu menschenverachtenden Taten sind auch andere in der Lage. Und ein Symbol der Kapitalmacht wurde getroffen nach dem Motto: „Ich mach dir deinen größten Turm kaputt“, wenn nicht der Ausgangspunkt fast zu simpel erscheinen würde, könnte man sagen, dass das Mackertum im Sandkasten sich in grauenhafter Konsequenz fortgesetzt hat, nur dass es jetzt tausende unschuldiger Opfer gibt. Die Türme sind zerstört, die phallischen Symbole des westlichen Finanzkapitals eingestürzt und es ist genau das wonach es in seinem ganzen Bombast aussieht: es ist ein innerpatriarchaler Kampf. Leider ist es nicht möglich zu sagen, macht weiter mit der Vernichtungsspirale, wir halten uns raus und warten bis die Vernunft ausgebrochen ist. Die Gewalt wird absolut nicht auf die Akteure beschränkt, sondern trifft in weit größerem Maß die Unbeteiligten.

Es ist kein antikapitalistischer Akt, gar ein Akt der Befreiung für eine bessere Welt. Es geht erstmal um die Klarziehung der Tatsache, dass Unverwundbarkeit ein Mythos ist und jede Hegemonie an Grenzen stößt. Der Terrorismus hat die USA zwischen die Beine getreten – herausgefordert, um seine eigene Machtpräsenz zu manifestieren. Im Zuge dessen bedient er sich der Unzufriedenheit und der Wut, die aus der Unterdrückung entsteht. Und er ist mitnichten irrational weder in der Anwendung der Mittel noch in der Intention. Ganz im Gegenteil, er kann mit der Wirkung zufrieden sein, denn der Schock ist den USA und Europa in die Knochen gefahren. Denn er zeugt vor allem von Kontrollverlust. Dieser Anschlag im eigenen Land kündigt noch etwas anderes an. Bisher waren die Gegner berechenbar, oder es schien so. Die Gegenschläge liefen nicht in der Weise aus dem Ruder. Das verändert sich. Im Kalten Krieg gab es Regeln, eine Balance, ein gegenseitig abgestimmtes Machtkalkül, wenn auch mit Konflikten, aber beständig. Das ist vorbei.

Selbstverständlich hatte sich diese Veränderung schon angekündigt, den Terrorismus gibt es schließlich schon länger und die Anschläge in den letzten Jahren wie die auf das World Trade Center 1993 und auf die US-Marines 1998 in Kenia und Tansania ließen schon längst auf ein Terrornetzwerk schließen. Und trotzdem konnte es nicht verhindert werden, haben die Geheimdienste und Abhörsysteme nicht rechtzeitig reagiert. Das spricht auch für die Unfähigkeit sich in diese Situation hineinversetzen zu können, diese Situation überhaupt denkbar zu machen. Darin liegt ein Teil des Schocks, der Verlust der unmittelbaren Kontrolle. Das Vertrauen auf die innere Sicherheit ist schwer angeschlagen. Die Weltmacht Amerika kann sie nicht mehr garantieren, die Angst ist ausgebrochen. Der Feind dringt scheinbar mühelos ein und ist in der Lage entsetzliche Anschläge ohne großartige eigene Ausrüstung vorzunehmen. Wie soll das in Zukunft ausgeschlossen werden?

Diese tiefe Verunsicherung der eigenen Hegemonie, die Verunsicherung über die eigene Situation, greift auf verschiedenen Ebenen an. Die eine ist die der unmittelbaren Sicherheit. Daneben gibt es enorme ökonomische Verluste, nicht nur das Symbol der Wirtschaftskraft der USA wurde zerstört, sondern auch Finanzströme beeinträchtigt. Die Finanzmärkte sind sensibel, und die wirtschaftliche Stabilität der USA ist zur Zeit nicht die beste. Wenn auch der totale Börsencrash ausblieb, gehen die Einbußen in die Milliarden, sind Wirtschaftszweige wie die Fluggesellschaften u.ä. schwer getroffen. Auch insofern ist das Kapital oder sagen wir das westliche Kapital nicht unverwundbar und sogar der Feind schlägt daraus Profit, wenn man bedenkt, dass durch geschickte Spekulation an solchen Anschlägen enorm verdient werden kann.

Das sind Aspekte einer Situation, die zu einer Verunsicherung über die Stellung als Weltmacht führen. Das untergräbt das Selbstbewußtsein und die Selbstsicherheit, mit der die USA gewohnt sind die Dinge in der Welt zu ordnen. Läßt sich das wiederherstellen und auf welche Weise und was ist der Preis? Insofern haben die Staaten viel mehr zu verlieren als alle anderen, aber mit Sicherheit mehr als die Terroristen. In dieser Situation gibt es aus der patriarchalen Logik nur eine Reaktion: Krieg, um die Kontrolle wieder zu bekommen. Bush formulierte das folgendermaßen: „begun on the timing and terms of others ... will end in a way, and at an hour, of our choosing.“). (2) Die Intention ist deutlich, wenn wir schon nicht den Anfang bestimmt haben, das Ende und die Art und Weise doch allemal. Der internationale Männerbund wird aktiviert, selten sah sich die USA von so vielen Bündnispartnern solidarisch unterstützt wie zur Zeit, und jegliche repressiven Instrumente in Gang gesetzt, die zur Verfügung stehen. Der Sicherheitsetat wird heraufgeschraubt und den kooperierenden Diktaturen kurzerhand die Absolution erteilt und alles kulminiert in nur einer Botschaft: wer nicht für uns ist, ist für den Terror.

Antiamerikanismus

Parallel dazu führt die Linke hier ihre eigene innerpatriarchale Debatte, sie ergeht sich in allen Varianten der „wer-nicht-für-uns-ist-ist-gegen-uns“-Doktrin, wer jetzt nicht in voller Solidarität hinter und neben den USA steht, verteidigt die Terroranschläge, wer anfängt über Zusammenhänge nachzudenken, halluziniert bereits über den Antikapitalismus der arabischen Extremisten. Andere sehen darin den Rückschlag der geknechteten Dritten Welt. Nein, klare Fronten sind gefragt, das Gut-Böse-Weltbild ist einfach und überschaubar, und außerdem läßt sich sonst nicht ausgiebig ergebnislos streiten. Und wieder einmal gibt es eine Möglichkeit sich gegenseitig des Antisemitismus zu bezichtigen, das ist in bestimmten Kreisen der Linksintellektuellen längst zu einem paranoiden Dauerbrenner geworden. Das Kriterium der patriarchalen Machtpolitik spielt nicht die geringste Rolle. Kritik an Bewaffnung und einer ausgeweiteten Militarisierung der Gesellschaft ist nicht gefragt.

Ebenso gern und ausgiebig wird derzeit der Vorwurf des Antiamerikanismus angewendet, der aus seiner traditionellen Bedeutung herausfällt. Bislang wurde er vorzugsweise auf Altlinke bezogen, die sich gegen Liberalisierung und Massenkultur abgrenzen und diese als „Amerikanisierung“ identifizieren. Heute wird dagegen jedwede Kritik an amerikanischer Politik bereits als Antiamerikanismus bezeichnet. Das ist nur noch als verbohrte Scheuklappenmentalität zu bezeichnen.

Repression

„Die jetzt einsetzende politische Diskreditierung aller GegnerInnen des Weltsystems wird jede Bewegung schwächen. Die Repression wird an Legitimation gewinnen. Die Brandmarkung derer, die schwarze Klamotten lieben oder Schaufenster einschmeissen, als Terroristen auf dem direkten Weg nach Manhattan wird die Spaltung unter den AktivistInnen beschleunigen. Das wird so kommen, morgen.“). (3)

Das schiefe Verhältnis zu den Medien führt in den linken Kreisen manchmal zu Fehleinschätzungen, wenn es um das Verhältnis von den Medien zur Realität geht. Kaum zu verstehen ist die Bemerkung, wir befänden uns nicht in einem „Bruce Willis Filmchen“, (4) wenn man sich dieser Tage den Film „Ausnahmezustand“ von 1998 ansieht. In New York wird der „Ausnahmezustand“ ausgerufen (Bruce Willis als der kommandierende General wie immer in seinem Element: die Inkarnation der gegen das Böse gerichteten Macho-Gewalt) nachdem arabische Terroristen 600 AmerikanerInnen durch Bombenanschläge getötet haben. Bis zur Verhängung des Kriegsrechts wird alles durchdekliniert mit genau denselben Argumenten mit denen wir nach dem Anschlag jetzt konfrontiert wurden, der Angriff auf „unsere Lebensweise“, auf die Freiheit und Demokratie und auf die zivilisierte Welt. Es werden das Problem und die zusammenhängende Lage benannt: die aktuellen Gegner sind selber aufgerüstet worden und der entstandene Hass hatte eine reale Grundlage in der amerikanischen Politik. Das wird alles benannt, was aber nichts ändert. Die Lösung ist auch hier: Gewalt innerhalb der demokratischen Grenzen.

Die Folgen daraus zeichnen sich bereits ab. Es wird drastische Einschränkungen der Reisefreiheit, der Pressefreiheit und sämtlicher politischer Aktivitäten geben, begründet mit einer erhöhten Sicherheitspolitik. Die Pläne für europäisch agierende Polizeieinheiten sind fertig, endlich kann auch über diese Grenzen hinweg eingegriffen werden. Es wird eine neue Qualität von Filtern im Netz geben, Kameras in Hülle und Fülle im öffentlichen Raum und vieles mehr, was einen ausgeweiteten Überwachungsstaat definiert. Und statt einer Einbeziehung und Integration von anderen, wird wieder viel stärker eine Polarisierung in den Vordergund geholt. Für all das ist die Demokratie in ihrer Struktur anfällig, sie wird sich intensiv auf ihren Kern des Ein- und Ausgrenzens besinnen. Das ist auch das Argument: die Demokratie wird gerettet, unsere Freiheit verteidigt, indem hochgerüstet wird und die Schotten dicht gemacht werden.

Differenzierungen sind plötzlich beim Teufel, insbesondere in der Krise gibt es nur noch die eine wahre und richtige Weltanschauung. Die kapitalistische Form der Freiheit, die westliche Zivilisation und die fortschrittliche Gesellschaft, die ebenfalls mit aller ideologischen Härte verteidigt werden. Für einen anderen Wertekanon als den unsrigen ist kaum Platz. Hat das keine fundamentalistischen Züge? Die hochgelobte Toleranz in den Ländern der Ersten Welt, sprich die relative Duldung von Menschen anderer Kulturen steht in direktem Verhältnis zum eigenen Wohlstand, der innerhalb dieser Grenzen vorhanden ist. Daraus ergeben sich Partizipationsmöglichkeiten, die eingeräumt bzw. erkämpft worden sind. Aufrechterhalten werden kann das nur mittels der Ausbeutung nach außen hin. In dem Fall kommt dem Nahen und Mittleren Osten eine extrem hohe Bedeutung zu, und die liegt in den Erdöl- und Erdgasvorkommen. In der Region insgesamt befinden sich ungefähr 50 Prozent der weltweiten Vorkommen. Auf diesen fossilen Brennstoffen fußt das Funktionieren der Industrienationen. In diesem Gebiet werden Einflußsphären aufgrund der Ressourcen gesichert, nicht wegen der Menschen und das heißt die USA werden diese Länder unter keinen Umständen sich selbst überlassen. Sie verteidigt dabei zwar weder unsere Freiheit noch die Menschenrechte, aber sehr wohl die technologische Grundlage unserer Lebensweise.

Kränkungen

In dieser Auseinandersetzung kommen alle Versatzstücke männlicher (Kriegs-) Identität zum Vorschein, sie verändern sich zur Kenntlichkeit. Zu beobachten ist auf der einen Seite ein spezifisches Durchdrehen der patriarchalen Dominanzkultur aufgrund von Kontrollverlusten, bloß nicht Opfer-sein-dürfen, gleichzeitig wird der Feind als feige = unmännlich gebrandmarkt. Derart getroffen im männlichen Selbstbewußtsein wird zum großen Halali geblasen, wird alles militarisiert was „in demokratischen Grenzen“ möglich ist. Auf der arabischen Seite: ein fundamentalistischer Wahnsinn, kaum zu überbieten in seiner Menschenfeindlichkeit, in seiner Männlichkeit tief gekränkt und besessen davon sich in dieser Logik einen Platz zu sichern.

Werden die Karten für die Zukunft neu gemischt? Das werden sie mit Sicherheit. Es hieß Amerika hat seine Unschuld verloren, nun, es war nie unschuldig. Es war und ist ein hegemoniales System, von dem wir glaubten, es hätte die Zügel fest in der Hand. Das hat sich verändert. Die Angst wird sich stärker ausbreiten und auch die Fragen nach dem warum wird es geben. Vielleicht wird über Alternativen nachgedacht, im besten Fall über eine nichtmilitarisierte Welt. Unmittelbar steht uns ein zermürbender Krieg im Nahen Osten bevor, zuallererst in Afghanistan. Es ist davon auszugehen, dass die Bevölkerung dort einen unglaublich hohen Preis zahlen wird. Millionen befinden sich in den Grenzlagern, dort wird das eintreten, was man als humanitäre Katastrophe bezeichnet.

Terroristen handeln nicht aus edlen Motiven, demokratische Staaten auch nicht. Es geht um die patriarchale Macht. Die Taliban oder jegliches andere islamistische autoritäre System geht über Leichen, das haben sie bislang getan und tun es auch jetzt. Für uns gibt es keine Alternative dazu, sich mit allen Mitteln gegen diese Gewaltspirale zu stellen, in der es kein Gut oder Böse gibt, dafür sind sich die Gegner zu ähnlich. Eine Hoffnung zeichnet sich vielleicht ab, denn der Kriegsbereitschaft stehen auch verhaltene Töne gegenüber, die Eskalation der Vernichtung ist vielen Menschen klar vor Augen. Das ist die einzige Chance.


Anmerkungen

Erscheint am 12.10.2001 in: alaska - Zeitschrift für Internationalismus, Nr. 238

(1) Mascha Madörin, Zur Verknüpfung von Kapitalismus und Männerherrschaft, siehe alaska Nr. 238, S. 8

(2) zitiert: The Economist, Sept. 22nd-28th 2001, S. 14

(3) Michael Stötzel, woz-online vom 13.09.01

(4) Heike Runge, Jungle World, Nr. 40, 26.Sept. 2001, S. 15.

Zur Autorin:
Claudia Bernhard ist Mitglied im Beirat der Rosa-Luxemburg-Initiative



| updated 2001-10-08 | Rubrik: archiv.luxemburg-initiative.de |