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Seit Jahren sind sich viele Beobachter einig, dass in Deutschland ein weit höheres rechtsextremes oder rechtspopulistisches Potenzial besteht, als es die Wahlergebnisse von DVU, Republikanern und NPD zeigen. Das belegen nicht nur die vielen rassistischen Anschläge, die in dieser Massivität in vielen Ländern mit höheren Wahlergebnisse rechtsextremer Parteien nicht zu finden sind. Momente des Erschreckens, etwa im April 1998 nach dem Einzug der DVU mit rund 13% in den Landtag von Sachsen-Anhalt, dem bis dahin besten Ergebnis einer Rechtsaußen-Partei, wechselten sich mit Phasen der Beruhigung oder des Desinteresses ab, wenn wieder einmal eine DVU-Fraktion gespalten und unfähig ihrem Untergang entgegentaumelte. Mit Ausnahme der betont rechtsbürgerlichen Republikaner in Baden-Württemberg, die nach ihrem zweistelligen Wahlerfolg von 1992 auf dem Höhepunkt der Anti-Asyl-Kampagne 1996 immerhin noch einmal mit über 9% in den Landtag in Stuttgart einzogen, scheiterten alle anderen rechten Gruppierungen bei der folgenden Wahl egal, ob es die NPD Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre oder DVU und Republikaner seit Ende der achtziger Jahre waren. Und auch in Baden-Württemberg ging die parlamentarische Existenz der Republikaner in diesem Jahr zu Ende. In Hamburg, wo Republikaner und DVU 1997 zusammen noch fast 7% errangen, ereichten sie diesmal gerade einmal 0,8% der Stimmen. Rechtsextremismus im Stile der Schönhubers und Freys kann sich offenbar in Deutschland trotz des vorhandenen Potenzials nicht längerfristig durchsetzen: Zu alt, zu traditionell, zu Bierzelt-schmuddelig.
Landtagswahl vom 23.09. |
Stimmenanteile
(in %) |
Differenz zu 1997 |
Mandate |
Wahlbeteiligung |
71,0 |
+ 2,3 |
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SPD |
36,5 |
+ 0,3 |
46 (-8) |
CDU |
26.2 |
- 4,5 |
33 (-13) |
Schill (PRO) |
19,4 |
+19,4 |
25 (+25) |
Grüne/GAL |
8,5 |
- 5,4 |
11 (-10) |
F.D.P. |
5,1 |
+ 1,6 |
6 (+6) |
Regenbogen |
1,7 |
+ 1,7 |
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DVU |
0,7 |
- 4,3 |
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STATT Partei |
0,4 |
- 3,4 |
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PDS |
0,4 |
- 0,3 |
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Rep |
0,1 |
- 1,8 |
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Andere |
1,0 |
- 3,5 |
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Wenn aber, so haben viele nicht nur Linke in den letzten Jahren argumentiert, eine stark wirkende Führungsfigur wie Jörg Haider in Österreich, Umberto Bossi und Gianfranco Fini in Italien oder zeitweilig Jean-Marie le Pen in Frankreich bzw. auf rechtsbürgerliche Weise Christoph Blocher (Schweiz) und Carl I. Hagen (Norwegen) auftauchen und eine Struktur aufbauen würden, die außerhalb der eindeutig rechtsextremen Szene stünde, dann könnte auch in Deutschland ein erfolgreiches rechtes Parteiprojekt entstehen.
Der in der Geschichte bundesrepublikanischer Parteien einmalige Erfolg einer neuen, rechtspopulistischen Kraft des Ronald Barnabas Schill mit 19,4 % (25 von 121 Bürgerschaftssitzen), der ihn wahrscheinlich als Zweiten Bürgermeister und Innensenator mit Zugriff auf Polizei und Ausländerbehörde direkt in die Regierung tragen wird, wirft die Frage auf, ob Schill der deutsche Haider, Blocher oder Hagen ist.
Eine Antwort fällt zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr schwer.
Für die Annahme, mit Schill beginne ein erfolgreicher Neuformierungsprozess auf der Rechten sprechen
- das Ausmaß des Erfolges sogar vor dem Hintergrund einer relativ stabilen ökonomischen Lage (überdurchschnittliches Absinken der Arbeitslosigkeit, überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, - teuer bezahlte Ansätze einer Haushaltskonsolidierung),
- seine Unabhängigkeit von traditionellen rechtsextremen Strukturen,
- die Schnelligkeit, mit der CDU und F.D.P. Schill als einen Partner im bürgerlichen Lager zu akzeptieren bereit sind (was sie mit Republikanern, DVU und NPD nicht getan haben)
- eine sich im nächsten Jahr möglicherweise verschärfende ökonomische Krise sowie die hohe öffentliche Bedeutung von "Law & Order" spätestens seit dem 11. September 2001
- und Umfragewerte (siehe etwa eine Forsa-Befragung in "Die Woche", nach der 24% der Befragten sich vorstellen könnten, eine Schill-Partei auch bei Bundestagswahlen zu wählen).
Doch gibt es auch verschiedene Gründe, die gegen einen "Durchmarsch" Schills in anderen Ländern sprechen oder im Bund sprechen:
- Die Hamburg-Wahl wurde, wie nur noch wenige Landtagswahlen, von besonderen lokalen Faktoren bestimmt. Ein diffuses, populistisches Wechsel- und "Anti-Filz"-Klima ignorierte sowohl die relativen - im Rahmen einer partiell neoliberalen Ausrichtung der Sozialdemokratie - Erfolge der rot-grünen Landesregierung als auch ihre wirklichen Schwachpunkte, etwa in der chronisch unterfinanzierten Schul- und Hochschulpolitik. "Innere Sicherheit" und gerade noch die Verkehrspolitik ("Hamburg erstickt im Stau!") dominierten einen Wahlkampf, der weit provinziellere Züge aufwies, als es dem Hamburger Anspruch, Weltstadt zu sein, zuträglich ist. Wie die Statt-Partei 1993, wenngleich mit einem mehr als 3-mal so hohen Ergebnis, könnte es sich bei Schill um eine Hamburger Besonderheit handeln.
- Schill führt eine kaum greifbare, bislang nicht arbeitsfähige "Partei", in deren Fraktion sich absolute Polit-Neulinge und Dilettanten mit ehemaligen Mitgliedern von CDU, SPD und Statt-Partei mischen, die selbst in der Kommunal- und Landespolitik bestenfalls der dritten Reihe angehörten. Schill muss es gelingen, bürgerliche "Experten" außerhalb seiner eigenen Partei für Senatoren-Posten und die Beratung zu gewinnen, sonst wird seine faktische Bedeutung in der künftigen Landesregierung zu gering sein, als dass er sie als Sprungbrett für eine bundesweite Ausdehnung nutzen könnte. Schill selbst ist dermaßen neu im politischen Geschäft, soweit erkennbar bislang auch ohne bedeutende Berater im Hintergrund, schließlich auch nicht so charismatisch wie etwa Haider, so dass er dringend neue Verbündete und Förderer braucht. Ob er zu einer solchen strategischen Einsicht, die auch eine Begrenzung seiner Egomanie erfordern würde, bereit und imstande ist, erscheint zweifelhaft.
- Anders als Haider oder Blocher ist Schills Populismus bislang eindimensional; soziale und ökonomische Themen kommen darin nicht vor. Für eine dauerhafte und überregionale Ausdehnung wäre dies aber erforderlich.
Gut möglich also, dass Schill in der Regierung scheitert, dass die ganze Regierung keine vier Jahre übersteht. Doch sollten sich Linke unterschiedlichster Ausrichtung und insbesondere die SPD nicht zu sehr darauf verlassen. Der historische "Bürgerblock" (CDU, FDP und Deutsche Partei), der die Wahlen von 1953 mit 50 gegen 45% der SPD gewann, verdross die Hamburger zwar so sehr, dass die SPD 1957 mit 54% und gleich für 44 Jahre an die Regierung zurückkehrte, aber allzu viel Trost sollte die SPD aus diesem Vergleich nicht ziehen.
Selbst wenn sich das Schill-Phänomen schnell verflüchtigen oder regional begrenzt bleiben sollte eine mittelfristige Verhärtung in der Innen- und Migrationspolitik wird das Ergebnis vom 23.9. 2001 auf jeden Fall befördern. Erinnert sei an die weitgehende Einschränkung des Asylrechts 1993, der nicht zuletzt Wahlerfolge von Republikanern und DVU vorausgingen, die in CDU/CSU und SPD den migrationsfeindlichen Teilen Auftrieb gaben. Nun brauchen ein Schily, Beckstein oder Koch kaum noch zusätzliche Argumente für einen "starken Staat" und gegen eine humane und realistische Migrationspolitik, doch wird es ihnen nach den Terroranschlägen in den USA und dem Erfolg von Schill leichter fallen, ihre Linie durchzusetzen.
Für Sozialdemokraten, Grüne und PDS stellt sich allerdings verstärkt die Frage, wie sie mit den Themen "Sicherheit und BürgerInnerechte" umgehen wollen. Eine klare und einfache Antwort wird es vermutlich nicht geben. Klassische Aufklärung gegen diffuse Ängste und Hetze sowie gegen die Unwirksamkeit bestimmter Forderungen (vor allem im Zusammenhang mit einer Gegenwehr gegen einen Terrorismus in der Art des 11. September 2001) wird ein Element sein müssen; die Suche nach mittelbaren sozialen Verunsicherungen, die sich hinter den "Law & Order"-Stimmungen verbergen könnte, eine andere. Die Notwendigkeit und den Wert von Freiheitsrechten gerade im Augenblick einer Krisensituation herauszustellen wird eine weitere, offensiv anzugehende Aufgabe sein. Neben diesen wichtigen Teil-Antworten werden aber möglicherweise auch ein Überdenken der einen oder anderen Position nötig sein. Das Verhältnis von "Freiheit (Schutz) vor dem Staat" und "Schutz durch den Staat" (in elementaren Fällen wie Gewaltverbrechen) bedarf einer Ausgewogenheit, die viele Menschen Linken offenbar nicht zutrauen. Ignorieren lässt sich das Thema "Innere Sicherheit" jedenfalls nicht mehr. Auch nicht für die PDS, deren Wählerschaft in dieser Frage vermutlich mindestens so heterogen ist wie diejenige der SPD.
Der wahrscheinliche Regierungswechsel in Hamburg überdeckt, dass die CDU stark verloren hat und nur knapp über ihrem historischen Tief von 1993 liegt. Auch die F.D.P., bei mehreren Landtagswahlen und bundesweiten Umfragen im Aufwind, fuhr ein bescheidenes Ergebnis ein; um ganze 700 Stimmen übersprang sie die 5%-Hürde. Die SPD schließlich konnte sich zwar von ihrem historischen Tiefspunkt 1997 um 0,3% bzw. 12.000 Stimmen verbessern, wozu die Angst vor Schill sicherlich beitrug, ist aber dennoch eine Verliererin der Wahlen. Wurde sie jahrzehntelang auch von bürgerlichen Wählern als "Hamburg-Partei" gewählt, die bei Bundestagswahlen CDU oder F.D.P. ihre Stimme gaben, schneidet sie nun in Umfragen zur Bundestagswahl weit besser als im Land ab. Wie überhaupt die Bundes-SPD trotz der Verschiebungen im Bundesrat taktisch relativ unbeschadet aus der Niederlage hervorgehen dürfte, weil die Schwäche der CDU, die Zersplitterung des Parteienspektrums und die Koalitionsbereitschaft von großen Teilen der F.D.P. und der PDS Schröder viele Optionen offen lässt. Insofern wird die Bundes-CDU kurzfristig wenig mit ihrem "Erfolg" in Hamburg anfangen können. Zu befürchten ist ein Rechtsruck in der Union zu Lasten von Angela Merkel , zu Gunsten von Stoiber und vor allem Koch.
Für die Grünen schließlich hat sich in Hamburg ein Kreis geschlossen. Hier errangen sie 1993 und 1997 ihre bundesweit besten Ergebnisse (13,5 und 13,9%). Nach dem September 1997 haben sie bei jeder der folgenden 18 Landtags, Bundestags- und Europawahl nur noch Stimmenverluste hinnehmen müssen.
Von ihrem Niedergang kann aber links von rot-grün niemand wirklich profitieren. Das Ergebnis des "Regenbogen", immerhin der einzigen linksgrünen Abspaltung mit parlamentarischer Vertretung (5 der vormals 21 grünen Abgeordneten), fiel mit 1,7% (14.000 Stimmen) bescheiden aus. Die Angst vor Schill mag "Regenbogen" einige Stimmen gekostet haben, aber ein Einzug in die Bürgerschaft lag trotz qualifizierter KandidatInnen außerhalb jeder realistischen Möglichkeit. Trotz des Einsatzes von Gregor Gysi, der Kandidatur einiger PDS-Mitglieder auf der "Regenbogen"-Liste und der Unterstützung dieser Kandidatur durch weitere PDS-Mitglieder aus Hamburg. Die Kandidatur des dogmatischen, destruktiven und letztlich pubertär agierenden PDS-Landesvorstandes endete mit 0,4% (kaum mehr als 3.000 Stimmen, also rund einem Siebtel des PDS-Ergebnisses der Bundestagswahlen) in einem ungleich größeren Fiasko.
Links-alternative Milieus und "Bewegungen" der achtziger Jahre existieren kaum noch bzw. ermöglichen für sich alleine linken Gruppen keine Wahlerfolge mehr. Wenn nicht in Hamburg, dann wohl bei keiner Landtagswahl. Wo aber liegen Potenziale für eine linke Kraft in den westlichen Bundesländern? Bedarf an einer solchen Kraft gibt es genug schon vor Schill, und erst Recht nach seinem Erfolg.
Anmerkungen
Nähere Angaben zu den Wahlergebnisse finden sich unter:
http://www.hamburg.de/Behoerden/StaLa/wahlen/wahl2001/welcome.htm
Hingewiesen sei auch auf einen Artikel von Bernhard Müller in Sozialismus: "Aufstand der Anständigen"
Zum Autor:
Dr. Florian Weis ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Bereich politische Bildung
| updated 2001-09-28 | Rubrik: archiv.luxemburg-initiative.de | |
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