Im Mittelpunkt dieser Veranstaltungsreihe stehen zeitgenössische Regierungs- und Normalisierungstechniken sowie Formen der Machtausübung, die sowohl auf Freiwilligkeit und die Selbststeuerungskapazitäten der Individuen setzen als auch erst die Individuen zu bestimmten regierten und regierenden Subjekten machen.
Moderne Machtformen, so eine Ausgangsthese, regieren weder allein über autoritäre Repression noch über staatliche Integration oder Exklusion, sondern ebenfalls durch Zuweisung sozialer Schicksale, Aufbau bestimmter Denkmuster und über die Entwicklung spezifischer Handlungs- und Wahrnehmungsschemata.
Inwiefern Subjektivierungsweisen bzw. die Arten der Selbst- und Fremdwahrnehmung, moderne Machtformen, Denkschemata und Staatlichkeit miteinander verbunden sind, dies sollen die verschiedenen Veranstaltungen klären.
Mit Hilfe des zentralen Begriffs der Gouvernementalität des französischen Sozialhistorikers Michel Foucault sollen diese neuen Macht- und Regierungsformen sowie Subjektivierungsweisen in unterschiedlichen Bereichen, wie beispielsweise anhand neuer Lernformen, Verwaltungsreformen oder kriminalsoziologischen Befunden analysiert werden (nähere Informationen sind den Ankündigungen der einzelnen Veranstaltungen zu entnehmen).
Dabei ist mit Subjektivierungsweisen nicht nur gemeint, dass die Menschen bestimmten Machtformen unterworfen sind, sondern dass sie sich erst ausgehend von Machtverhältnissen und Denkformen konstituieren und sich als bestimmte Subjekte wahrnehmen, denken und verhalten. Subjekte sind nicht erst einfach da und werden dann in einem zweiten Schritt unterdrückt, sondern Subjekte werden zuallererst in Machtverhältnissen und Diskursen geschaffen und erschaffen sich davon ausgehend selbst: Unterwirf Dich selbst! meint dann nicht nur Unterdrückung, sondern normalisierende und normgerechte Selbsterschaffung, Selbst(er)findung, Selbstentdeckung und Selbstmanagement.
Die Frage ist dann auch: Wer regiert hier eigentlich wen? Bedeuten Zuwächse an Handlungsoptionen auch proportionale Zuwächse an Freiheit? Welche neuen, unausgesprochenen sozialen Verpflichtungen gibt es, mit denen man mithalten muss, um noch dabei sein zu können? Zu welchen Handlungen werden Subjekte heute auf nicht-repressive Weise bewegt und dadurch regiert? Gibt es überhaupt macht-freie Subjektivität? Welche Rolle spielen dabei neoliberale Denkmuster? Existieren Auswege aus diesen neuen Macht- und Subjektivierungsformen?
Übersicht zur Reihe:
Gouvernementalität
oder: Regieren durch Denken
Workshop zur Gouvernementalität bei Michel Foucault und thematischer Einstieg in die Veranstaltungsreihe mit Stephan Moebius
Mit Gouvernementalität ist gemeint, dass Menschen sich selbst und andere zu bestimmtem Handeln anregen, und zwar innerhalb und mit Hilfe eines bestimmten Denksystems: Regieren (gouverne) durch bestimmte Arten, etwas zu denken (mentalité), so dass andere Möglichkeiten, etwas wahrzunehmen oder zu erkennen, ausgeschlossen werden.
Falls aber jemandem diese Zusammenfassung der Foucaultschen Analysen zu kurz erscheint, soll der dieser einführende Workshop dem Wissensdurst genüge tun. Nach einem kurzen bio- und bibliographischen Abriss von Michel Foucault, werden die zentralen Analysepunkte und methodischen Umsetzungen seines Denkens herausgestellt und erklärt. Der besondere Fokus liegt dabei in den Begriffen der Subjektivierung, der Bio-Macht und der Gouvernementalität. Im Anschluss sollen ein bis zwei zentrale Texte Foucaults gemeinsam gelesen und besprochen werden.
Der Workshop richtet sich sowohl an diejenigen, die ein vertieftes Interesse an der Gesamtthematik der Veranstaltungsreihe haben, als auch an solche, die einfach einmal Foucault und sein Denken kennen lernen wollen.
Literaturempfehlungen:
Michel Foucault, 1976, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit Band 1. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (zur Einführung)
Bröckling, Krasmann, Lemke (Hg.), 2000, Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (das Werk zur Reihe).
Stephan Moebius, Soziologe, ist Lehrbeauftragter an der Universität Bremen und Mitglied im Beirat der rli.
Samstag, 26.10.2002
14:00 bis ca. 18:00 Uhr
Institutsgebäude Am Barkhof, Parkallee 39, Bremen
[Standortanzeige]
Die Lust an der Strafe:
Bedürfnis der Bevölkerung oder politisches Produkt?
Vortrag und Diskussion mit Susanne Krasmann
Mit dem Rückzug des wohltätigen Staates ist Punitivität zu einem beunruhigenden Phänomen geworden: Kriminologen, Strafrechtstheoretiker und Soziologen sorgen sich nicht nur über Tendenzen einer zusehends populistischen Strafpolitik, sondern vor allem auch über eine deutlich wahrnehmbare Strafbereitschaft in der Bevölkerung. Die Aufregung über Sexualtäter, aber auch die Übergriffe gegen Andersaussehende und der Beifall dafür, sind wohl einem jeden, zumindest aus den öffentlichen Medien vertraut. Schlägt sich hier, wie manche meinen, ein grundlegendes anthropologisches Bedürfnis Bahn, Abweichung und Verstöße gegen die Regeln des Zusammenlebens, zu bestrafen? Oder ist das nur das Spiegelbild einer politischen Entwicklung: die Entfesselung einer Macht zu strafen, die mit der neoliberalen Entfesselung des Kapitalismus gleichzieht? Zeigt sich hierin nur die Reaktion auf den Rückzug des Staates: aus dem Anspruch, ein liberaler Rechtsstaat zu sein und noch Straftäter human zu behandeln? Mit den analytischen Konzepten Michel Foucaults soll diesen Fragen nachgegangen und erörtert werden, inwiefern Punitivität als das Produkt politischer Praktiken zu begreifen wäre.
Susanne Krasmann (Hamburg), Soziologin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie der Universität Hamburg.
Montag, 11.11.2002
20:00 Uhr
Villa Ichon, Goetheplatz 4, Bremen
[Standortanzeige]
Lebenslanges Lernen:
Vom reformpädagogischen Ideal zum Lehrplan der Ich AG
Vortrag und Diskussion mit Anna Tuschling und Christoph Engemann
Eine Antwort auf die PISA-Misere soll Lebenslanges Lernen heißen. Mit diesem Schlagwort ist ein Bündel von pädagogischen Konzepten, aber auch von politischen Programmen bezeichnet. Die Idee, das Lernen über die gesamte Lebensspanne auszuweiten, entstand als Teil progressiver pädagogischer Ansätze in den 1960er und 70er Jahren. Anfang der 90er erschien das Konzept des Lebenslangen Lernens erneut in der Bildungsdiskussion, diesmal nicht als Emanzipationsideal sondern als Formel für eine grundsätzliche Reformierung des Bildungssystems. Die EU erklärte das Jahr 1996 unter dem Motto, die Zeit des Lernens reiche von der Wiege bis zum Grab, zum Jahr des Lifelong Learning. Mit den vorgeschlagenen individualisierten Bildungswegen, die zu unterschiedlichen Zeiten, eben ein Leben lang ergänzt werden können, die aber auch meßbar gemachte Freizeitaktivitäten (Skills) umfassen sollen, wird eine veränderte staatliche Verwaltung und Finanzierung der Bildung nötig.
Es soll dargestellt werden, dass die einstmals als emanzipativ gedachte Forderung nach lebenslangem Lernen zur Modernisierungsstrategie der europäischen Bildungslandschaft avanciert ist. Den rasant wechselnden Anforderungen des Arbeitsmarktes an die Konkurrenzsubjekte, die sie zur Ich AG, zum Unternehmer der eigenen Arbeitskraft machen, muß in Schule und Ausbildung Rechnung getragen werden. Die Fähigkeit zur ständigen Anpassung wird, so unsere These, zum Hauptbildungsziel.
Anna Tuschling und Christoph Engemann (Bremen) sind Mitglieder der Initiative not a love song sowie im Beirat der rli.
Montag, 16.12.2002
20:00 Uhr
Villa Ichon, Goetheplatz 4, Bremen
[Standortanzeige]
Empowerment:
You are not responsible for being down, but you are responsible for getting up
Vortrag und Diskussion mit Ulrich Bröckling
Empowerment und Obszönitäten hätten etwas gemein, schrieb der amerikanische Gemeindepsychologe Julian Rappaport: you have trouble defining it but you know it when you see it. So vieldeutig wie der Begriff, so heterogen sind die Bereiche, in denen Empowerment als normative Richtschnur, Handlungskonzept und analytische Kategorie zum Einsatz kommt: Bürgerinitiativen und Graswurzelbewegungen berufen sich ebenso darauf wie neokonservative Politikberater, Adepten des New Age ebenso wie Apologeten des Klassenkampfs, das Konzept ist in der feministischen Bewegung ebenso verbreitet wie in den verschiedenen Praxisfeldern Sozialer Arbeit. Über politische Fraktionierungen und soziale Milieus, Disziplingrenzen und fachliche Zuständigkeiten hinweg kann der Ruf nach Empowerment fraglose Plausibilität beanspruchen und das nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Vieldeutigkeit.
Die Allgegenwart des Konzepts ist symptomatisch: Wissensformen, Praktiken und Zielvorstellungen von Empowerment liefern prominente Bausteine dessen, was Michel Foucault die Gouvernementalität der Gegenwart genannt hat. Das planmäßige Einwirken auf andere (to empower people) wie auf sich selbst (self-empowerment) konstituieren eine Technologie des Regierens, die sich dadurch definiert, daß ihre Interventionen die Fähigkeit zur Selbstregierung steigern sollen. Autonomie, Freiheit und Eigenverantwortung stellen dabei nicht länger die Antithese von Herrschaft dar, sondern den avanciertesten Modus ihrer Ausübung.
Ulrich Bröckling (Freiburg), Soziologe, ist z.Zt. wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich Literatur und Anthropologie der Universität Konstanz.
Montag, 20.01.2003
20:00 Uhr
Villa Ichon, Goetheplatz 4, Bremen
[Standortanzeige]
Electronic Government:
Bürokratie und Subjektivierung
Vortrag und Diskussion mit Christoph Engemann
Im Electronic Government treffen sich zwei Prozesse: Verwaltungsmodernisierung und die Etablierung des Internet als universelle Infrastruktur. Beide Prozesse stehen in wechselseitiger Abhängigkeit. Zunächst wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Projekte des Electronic Government in Deutschland und Europa gegeben. Electronic Government ist zuallererst eine Verwaltungsmodernisierung, die auf die allgemeine Bereitstellung elektronisch zugänglicher und verarbeitbarer Verwaltungsdienstleistung abzielt. Dieser Prozess ist eng verzahnt mit dem Themenkomplex der Inneren Sicherheit und den politischen Projekten des sogenannten aktivierenden Staates. Auf die Frage der Inneren Sicherheit kann im Rahmen des Vortrages leider nicht näher eingegangen werden. Zunächst sollen die grundlegenden infrastrukturellen Bedingungen und Folgen von Electronic Government für staatliches Handeln (und für die Wirtschaft) Thema sein. Anhand der Potentiale von Electronic Government im Zusammenhang mit der Politik des aktivierenden Staates werden dann Thesen über das sich verändernde Verhältnis der Subjekte zum Staat entwickelt.
Christoph Engemann (Bremen), Psychologe, ist Fellow der Graduate School of Social Sciences (GSSS) an der Universität Bremen und Mitglied im Beirat der rli.
Montag, 10.02.2003
20:00 Uhr
Villa Ichon, Goetheplatz 4, Bremen
[Standortanzeige]
Weiteres zum Thema
Führe mich sanft
Gouvernementalität Anschlüsse an Michel Foucault
Website zur studentischen Tagung am 02./03.11.2002 an der Universität Frankfurt/M. mit Abstracts und Reader
Minority Report
Website zum Kinofilm von Steven Spielberg nach einer Shortstory von Philip K. Dick: Die Handlung veranschaulicht stellenweise recht gut Formen von Selbstkontrolle, bleibt aber deutlich hinter dem Niveau der Vorlage zurück.
| updated 2002-11-27 | Rubrik: programm.luxemburg-initiative.de | |